“Methods and Methodology in Researching the Far Right” - Internationale Konferenz an der FH D
Ende März lud der „Forschungsschwerpunkt Rechtsextremismus/Neonazismus der FH Düsseldorf“ unter der neuen Leitung von Prof. Dr. Fabian Virchow erstmals zu einer internationalen Konferenz an die Hochschule ein. Ein gelungenes Projekt: Im Mittelpunkt der Veranstaltung standen methodische und methodologische Fragestellungen im Kontext qualitativer Forschung zum Themenfeld „Extreme Rechte“. Damit wurde ein bisher systematisch kaum beachtetes Problemfeld in den Mittelpunkt der Beratungen gerückt. Dabei standen zum einen Erfahrungen und Herausforderungen
ethnographischer Arbeit „im Feld“ im Vordergrund, zum anderen Fragen des Quellenzugangs und der Quelleninterpretation.
„Forschende sollten sich zudem nicht ausschließlich auf die Führungskader einer Organisation konzentrieren“
Als Key-Note sprach Prof. Kathleen Blee (Pittsburgh University, USA) über methodologische Herausforderungen, denen sich ethnographische Forschung in diesem einschlägigen Feld gegenübersieht. Im Lichte ihrer Untersuchungen zum US-amerikanischen Ku Klux Klan machte sie deutlich, dass die Möglichkeit des Zugangs zu solchen Organisationen sich mit dem Zeitverlauf ändern kann und zudem nicht immer eindeutig zu beantworten ist, inwiefern das konkret untersuch-te Segment einer Organisation als typisch für die Gesamtstruktur anzusehen sei.
Hinsichtlich der Auskunftsbereitschaft von Befragten erinnerte sie daran, dass es zahlreiche Akteurinnen und Akteure in diesem Bereich gebe, die auf einen „moment of fame“ warteten.
Forschende sollten sich zudem nicht ausschließlich auf die – möglicherweise am einfachsten zugänglichen – Führungskader einer Organisation konzentrieren, sondern auch die Personen ernst nehmen, die informell eine wichtige Rolle spielen und erst auf den zweiten oder dritten Blick sichtbar werden. Das bedeute zudem, sich nicht prioritär dem Spektakulären (z.B. der Gewalt) in der Praxis einer Organisation zuzuwenden, sondern die alltäglichen Prozesse der Stabilisierung der Weltanschauung und der sozialen Reproduktion der Bewegung oder Partei zu studieren.
Von den durch den Vortrag von Kathleen Blee aufgeworfenen Fragen wurde insbesondere jene intensiv diskutiert, die nach Möglichkeiten fragte, wie bei der Analyse extrem rechter Vereinigungen non-/verbale Beiträge von V-Leuten und Undercover-Agenten zu identifizieren und im Forschungs-prozess adäquat zu behandeln seien.
Professor Pete Simi (University of Nebraska, Omaha, USA) stellte Ergebnisse aus einer Feldforschung bei der US-amerikanischen Neonazi-Gruppierung „Aryan Nations“ vor. Er verdeutlichte die Schwierigkeiten, die sich aus einem, dem Ziel eines „deep understanding“ folgenden Feldaufenthaltes ergeben können. Hierbei ging es insbesondere um die Grenzen dessen, was Forschende sich im Zuge der Arbeit im Feld zumuten, und um die Mechanismen der Selbstpräsentation in der Interaktion mit den Handelnden im Feld.
Professorin Martina Avanza (Universität Lausanne, CH) zeigte eine Typologie von Formen teilnehmender Beobachtung, die sie an Beispielen aus französischen Forschungskontexten erläuterte. Der Feldzugang werde, so betonte sie, auch vom Bild des Forschenden in den Augen der Befragten beeinflusst. Verfahren seien, insbesondere beim Typus „covered participant observation“ immer auch mit forschungsethischen Fragen konfrontiert.
Tiefere Kenntnis der historischen Dimensionen notwendig
Professor Cynthia Miller-Idriss (New York University, USA) stellte ihre, vor allem auf der Interpretation von Fotografien basierenden Forschungen zu dem bei Akteuren der extremen Rechten beliebten Modelabel „Thor Steinar“ vor. Sie verwies eingangs auf die Problematik des Forschenden als Insider bzw. Outsider im Feld, die den Zugang einerseits erschwere, andererseits aber ermögliche. Ihr Vortrag verdeutlichte, wie stark die Be/Deutung von Symbolen kontextabhängig ist und auch entsprechendes Wissen der Forschenden erfordere.
In dem Beitrag von Dr. Myriam Eser Davolio (Fachhochschule Nordwestschweiz für Soziale Arbeit, Basel, CH) wurde erneut deutlich, dass die Problemdefinition und Relevantsetzung, aber häufig auch die Forschungstätigkeit von sogenannten „critical incidents“ beeinflusst werde. Diese Konjunkturen seien der eigentlich notwendigen Kontinuität der wissenschaftlichen Bearbeitung durchweg nicht angemessen.
Die an der Universität Potsdam lehrenden Politikwissenschaftler Dr. Gideon Botsch und Dr. Christoph Kopke (beide: Moses Mendelssohn Zentrum für Europäisch-Jüdische Studien) hoben den Nutzen einer historisch-generischen Methode hervor und kritisierten, dass jüngere Forschungen zur extremen Rechten häufig ohne tiefere Kenntnis der historischen Dimensionen des
Untersuchungsgegenstandes auszukommen meinten.
Bernhard Weidinger (Universität Wien) sprach zu Fragen der Nutzung bzw. Nicht-Nutzung unpublizierter Quellen und forderte dazu auf, sich der in der Forschungsliteratur zur extremen Rechten bereits interpretierter Quellen erneut anzunehmen und einer Reinterpretation in neuen Kontexten zuzuführen. Er verwies zugleich darauf, dass dem ›Decoding‹ der Quellen erhebliche Aufmerksamkeit zuteilwerden müsse. In der Diskussion wurde auch auf das Problem verwiesen, dass es innerhalb der extremen Rechten Gruppierungen gibt, die kaum schriftliches Material hinterlassen, das einer kritischen Quellenexegese zugeführt werden könne. Schließlich wurde betont, dass auch der Grad der Möglichkeit des Zugangs zu oralen oder schriftlichen Quellen als Daten verstanden werden sollten, die zu analysieren und zu interpretieren sind.
Mit der Konferenz, die auch junge Forscherinnen und Forscher aus der Tschechischen Republik, Spanien und Frankreich anzog, machte Prof. Dr. Fabian Virchow deutlich, dass ein Augenmerk in der weiteren Arbeit auch internationalen Entwicklungen im Forschungsfeld und damit der internationalen wissenschaftlichen Kooperation gelten wird.
Der „Forschungsschwerpunkt Rechtsextremismus/Neonazismus der FH Düsseldorf“ wird im Oktober 2011 gemeinsam mit der „Info- und Bildungsstelle gegen Rechtsextremismus“ im
NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln eine weitere Konferenz durchführen.