„Damit der Hydra keine Köpfe wachsen“ – Düsseldorfs Kultpfarrer Thorsten Nolting ermutigte zu sozialer Nachhaltigkeit
„Wer ist die Hydra?“ fragte Pfarrer Thorsten Nolting zu Beginn seines Vortrages innerhalb der öffentlichen Veranstaltungsreihe „Horizonte erleben“ am 14. November 2012 im Japan-Haus und gab sogleich die Antwort auf das schlangenähnliche Ungeheuer, dem nach der griechischen Mythologie gleich zwei Köpfe nachwachsen, wenn es einen verliert: „In manchen Ländern ist es die Armut, in unseren Breiten die soziale Ungleichheit“, sagte er.
Thorsten Nolting ist Diakoniepfarrer des Kirchenkreises Düsseldorf und Vorsitzender der Diakonie Düsseldorf, dem Gemeindedienst der evangelischen Kirchengemeinden e.V. Einem überregionalen Publikum ist er darüber hinaus durch die von ihm initiierten Kunst- und Vortragsaktionen im Labor für soziale und ästhetische Entwicklung an der Bergerkirche in der Düsseldorfer Altstadt bekannt geworden, deren breit gefächertes und oft kontroverses Themenspektrum der Öffentlichkeit immer wieder ungewöhnliche Denkanstöße vermittelt hat.
An der Fachhochschule referierte er zum Thema „Damit der Hydra keine Köpfe wachsen – Ermutigung zu sozialer Nachhaltigkeit“. Dabei machte er deutlich, dass die Gestaltung des Umgangs und Miteinanders neben hoher Aufmerksamkeit Impulse über die Situation hinaus benötigt. Das gilt in der Begegnung mit obdachlosen, demenzerkrankten und behinderten Menschen – aber auch generell für gesellschaftliche Gruppen mit besonderem Hilfebedarf. Der langjährige, frühere Pfarrer der Johannes-Kirchengemeinde und Leiter des Arbeitskreises Kirche in der City beleuchtete das komplexe Thema aus verschiedenen Perspektiven: „Um die Hydra zu besiegen, muss man die soziale, ökonomische und ökologische Situation betrachten“. An vier Punkten machte er seine These fest: an den menschlichen Grundbedürfnissen, den Sozialressourcen, Chancengleichheit und Partizipation. „Nachhaltigkeit hat ihre Grenzen in Hinblick auf den individuellen Lebensweg, der auch Handicaps, Fehlentscheidungen und psychologische Ungleichgewichte mit sich bringen kann“, weiß Nolting aus seinem täglichen Arbeitsumfeld. Es sei ein Grundbedürfnis des Menschen, nach privater Sicherheit zu streben. „Man sieht Menschen, die sich selbstständig machen, ohne die Anlagen dazu zu haben, daneben stehen keine tariflich festgelegten Mindestlöhne. Das führt nicht selten in private Insolvenz und Verschuldung und so wachsen der Hydra weitere Köpfe“, erklärte Nolting. Verschuldung, Arbeitslosigkeit und Sucht seinen häufige Folgen. Hinzu kommen die enormen Kürzungen in der Beschäftigungsförderung insbesondere für Menschen mit Suchtpotenzial. „Für mindestens 2 Millionen Menschen hält dieser Arbeitsmarkt nichts bereit“, sagte Nolting und mahnte, dass nicht nachhaltig gedacht werde, wenn wir uns weiterhin gesellschaftlich über Arbeit definierten.
Auch in Hinblick auf die Sozialressourcen zeigte der Redner vielfältige Möglichkeiten zur Nachhaltigkeit auf. In Düsseldorf leben etwa 50 Prozent aller Menschen allein. Insbesondere für Menschen zwischen 60 und 75 Jahren reichten hier Begegnungen in Einrichtungen bei Kaffee und Kuchen nicht aus, das habe sich in der Vergangenheit gezeigt. Viel wichtiger sei die Form, sich engagieren zu können, so Nolting und beschrieb das ehrenamtliche Engagement in lokalen Netzwerken, die die Diakonie in Düsseldorf mit gestaltet hat. In jedem Viertel werden auch Beratungen angeboten. In Benrath sind beispielsweise 120 ehrenamtliche Helferinnen und Helfer tätig. „Das ist Multiplikation im Sinne von Nachhaltigkeit“, hob Nolting hervor. Ein weiterer Schritt in puncto Nachhaltigkeit sei die Professionalisierung des Ehrenamtes. Kurzfristige oder auch gefakte Engagements, wie sie zu Imagezwecken seitens Wirtschaft und Industrie oft zu Tage treten, bringen dauerhaft nichts. Es geht um eine langfristige Zusammenarbeit, darum, Patenschaften aufzubauen und mögliche finanzielle Unterstützungen zu erhalten.
Einen weiteren Aspekt sieht Nolting in der Chancengleichheit. Bildung sei hier das zentrale Thema. „Wir haben das Wissen, die Intelligenz und Begabung unserer Kinder bereits in der Kita zu fördern, aber personell oder finanziell wird nichts gemacht“, verwies er auf politische Luftblasen, die sich in zu großen Klassen, mangelnder Ausstattung und personeller Unterbesetzung widerspiegeln. Durch den gesamten Bereich der Bildung ziehe sich das Gegenteil von Nachhaltigkeit, so Nolting. Ebenso verhielte es sich bei der Partizipation. Als Beispiel dafür nannte der Düsseldorfer Szenekenner den Burgplatz. „Öffentlichen Ausgrenzungen kann man entgegenwirken, öffentlicher Raum ist moderierbar“, lautete hier seine nachhaltige Botschaft.
Seit dem Herbst 2010 ist die Fachhochschule Düsseldorf Mitglied der internationalen Initiative United Nations Global Compact (UNGC), deren Ziel die Stärkung eines staaten- und kulturübergreifenden Bewusstseins für Themenfelder wie Menschenrechte, Umweltschutz, Korruptionsbekämpfung und Einhaltung von Arbeitsnormen ist.
In unterschiedlichen Aktionstagen und Lehrveranstaltungen hat sich die Hochschule seit dem Beitritt dafür engagiert, diese Themen nicht nur im Kreis der Hochschulangehörigen zu verankern, sondern auch eine breite Öffentlichkeit für die Ziele von UNGC zu sensibilisieren. Grund genug also, die jährliche Vortragsreihe der Hochschule, „Horizonte erleben“, im Wintersemester 2012/2013 unter das Motto „Nachhaltigkeit als Herausforderung“ zu stellen.