„Soziale Arbeit in einer Schule der Vielfalt“
Eine Schule der Vielfalt braucht Schulsozialarbeit und deren gesetzliche und strukturelle Verankerung – so lautet die zentrale Botschaft der Fachtagung „Soziale Arbeit in einer Schule der Vielfalt“.
Zu der Tagung - unter der wissenschaftlichen Leitung von Prof. Veronika Fischer (FH Düsseldorf), Prof. Marianne Genenger-Stricker (Kat-HO Aachen) und Prof. Angelika Schmidt-Koddenberg (KatHO Köln) - am 21.06.2013 im Forum Leverkusen, zu der das Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales des Landes NRW und die Kommunalen Integrationsstellen (ehemals RAA) in Kooperation mit den beteiligten Hochschulen und Kommunen in NRW einluden, erschienen ca. 250 interessierte Studierende, Lehrende und PraktikerInnen. Einerseits wurden Ergebnisse aus dem Modellprojekt „Chancen der Vielfalt nutzen lernen“ dargestellt, andererseits wurde der Frage nachgegangen, welcher Maßnahmen und Strukturen es bedarf, um Handlungskonzepte für eine ‚inklusive Schule‘ zu entwickeln und umzusetzen.
Die Staatssekretärin für Integration im Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales des Landes NRW Zülfiye Kaykın begrüßte das Modellprojekt „Chancen der Vielfalt nutzen lernen“
als wertvollen Beitrag zur besseren Vorbereitung der (sozial)pädagogischen Fachkräfte auf ihre Tätigkeit in einer Migrationsgesellschaft. Das mit 2,8 Millionen Euro vom Land NRW und der EU finanzierte Modellprojekt hat eine Laufzeit von vier Jahren. Es wurde von den Ministerien für Arbeit, Integration und Soziales und für Schule und Weiterbildung begleitet und von der Landeskoordinierungsstelle der Kommunalen Integrationszentren NRW betreut. Elf Hochschulen und neun Kommunen haben sich beteiligt. 689 Studierende der Sozialen Arbeit und des Lehramts in NRW waren vier Jahre lang in dem Projekt engagiert. Landesweit konnten 3.444 Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund individuell gefördert werden. „Ohne eine Kultur der Anerkennung gibt es keine Chancengleichheit und keine Bildungsgerechtigkeit“, Integration durch Bildung sei eine Zukunftsaufgabe, die nur durch kultursensible und kompetente Fachkräfte an den Schulen und in außerschulischen Einrichtungen gelingen könne, sagte Frau Kaykın.
Dr. Peter Sicking von der Sir Peter Ustinov Stiftung referierte in seinem Eröffnungsvortrag über die Perspektiven inklusiver Schulentwicklung und betonte, dass Inklusion und Diversity
als gesellschaftliche Bereicherung durch Vielfalt verstanden werden sollten – sie bilden zentrale Leitmotive für die Schule der Zukunft. Am Beispiel der inklusiven Modell(grund)schule „Berg Fidel“ in Münster erläuterte er ein mögliches Konzept einer Schule der Vielfalt „Eine tatsächlich inklusive Schule ist eine Schule für ALLE Kinder, da sie jedes Kind – auch das hochbegabte, auch das scheinbar normale – in seiner Einzigartigkeit und Verschiedenartigkeit wahrnimmt und begleitet!“ (Leitmotiv aus dem Konzept Berg Fidel 1-13).
Prof. Veronika Fischer knüpfte mit ihrem Beitrag an die Ausführungen ihres Vorgängers an. Sie betonte, dass die Schulsozialarbeit unverzichtbarer Bestandteil des Lebensraums Schule und sowohl politisch gewollt als auch gesellschaftlich akzeptiert sei. Allerdings mangele es nach wie vor an der gesetzlichen und strukturellen Verankerung. In Bezug auf den Capability Approach forderte Prof. Fischer die Politik auf, materielle, institutionelle und pädagogische Rahmenbedingungen zu schaffen, die es jedem Kind ermöglichen an formalen, aber auch non-formalen Bildungsprozessen teilnehmen zu können. Die Durchsetzung der Allgemeinen Menschenrechte und der Kinderrechtskonvention fordere mehr Anstrengungen hinsichtlich
der Verwirklichung von Bildungsgerechtigkeit als Teil der Sozialen Gerechtigkeit.
Im Anschluss ging es in die Fachforen, die jeweils von einem Vertreter/einer Vertreterin aus Wissenschaft bzw. Lehre und aus der pädagogischen Praxis geleitet wurden. Die Themenauswahl ging von ‚Theorie-Praxis-Transfer an der Schnittstelle zwischen Hochschule und Schule‘, ‚Kooperationsmöglichkeiten zwischen Jugendhilfe und Schule‘ und eine ‚am Gemeinwesen orientierte Schulsozialarbeit‘ über ‚Antidiskriminierungsarbeit‘ und ‚differenzsensible Jungenarbeit in Schule und Sozialer Arbeit‘ bis hin zu ‚Elternarbeit‘, ‚Theaterpädagogik‘ und ‚außerschulische Bildungsarbeit‘. Trotz des großen Andrangs und der damit einhergehenden organisatorischen Herausforderungen, konnten weitgehend alle BesucherInnen an den von ihnen gewünschten Fachforen teilnehmen. (Die Impulsreferate und Diskussionsergebnisse werden in Kürze im Netz zur Verfügung gestellt.)
Zum Abschluss diskutierten auf dem Podium Dr. Ulrich Heinemann vom Ministerium für Schule und Weiterbildung NRW, Frau Nurhan Dogruer-Rütten als Vertreterin der Stadt Bochum, Tim Rietze von der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe, Alexandra Horster vom Landesjugendring NRW und der Landeskoordinator des Projekts „Lehrkräfte mit Zuwanderungsgeschichte NRW“ Mostapha Boukllouǎ über die Frage „Soziale Arbeit in einer Schule der Vielfalt – Wer sorgt für Nachhaltigkeit?“ Den VertreterInnen aus Politik und Jugendarbeit wurden Fragen nach Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten im Hinblick auf die Entwicklung bereichsübergreifender Handlungskonzepte, den Rahmenbedingungen für deren Umsetzung und der Kompetenz für die Qualitätssicherung eines inklusiven Schulkonzeptes gestellt.
Während sich Dr. Heinemann für eine Konzeptentwicklung am „runden Tisch“ mit dem Schlagwort „alle Beteiligten beteiligen“ aussprach, forderte Frau Horster deutlich mehr Einbeziehung der Anliegen der Kinder und Jugendlichen. Tim Rietzke betonte: „Handlungskonzepte müssen bei den Handelnden liegen.“ und war sich mit Frau Dogruer-Rütten dahingehend einig, dass Verwaltung und Politik die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen müssten. Bei der Frage danach, wie eine bereichs- und professionsübergreifende Kooperation umzusetzen sei, zeigten sich unterschiedliche Einschätzungen zwischen den Vertretern aus Ministerium und Diakonie, während Herr Heinemann eine Verpflichtung für nicht durchsetzbar betrachtete, betonte Herr Rietzke Schulsozialarbeit als Pflichtaufgabe sei nicht nur wünschenswert, sondern auch machbar. Die Notwendigkeit der Einbeziehung außerschulischer Bildungsträger wurde gefordert, wobei Alexandra Horster auf die Gefahr einer Instrumentalisierung der Jugendverbände als Dienstleister im Schulkontext hinwies.
Um ein inklusives Schulkonzept umsetzen und dessen Qualität sichern zu können, seien Veränderungen in der Lehrerausbildung und Fortbildungen für Lehrkräfte dringend erforderlich. Zudem, betonte Herr Boukllouǎ, müsse eine Personalentwicklung im Hinblick auf ein Lehrerkollegium der Vielfalt stattfinden.
Das Modellprojekt „Chancen der Vielfalt nutzen lernen“ wurde an der Fachhochschule Düsseldorf mit dem Ziel durchgeführt, interkulturelle Kompetenzen im Studium zu vermitteln und im Studiengang nachhaltig zu verankern. Seit Februar 2010 haben insgesamt 44 Studierende der Sozialarbeit/Sozialpädagogik verschiedene sozialpädagogische Angebote an 11 Düsseldorfer Schulen durchgeführt, davon 21 Studierende (ca. 50%) über eine Dauer von zwei bis drei Semestern. Während dieses Zeitraums wurden mehr als 400 Kinder und Jugendliche unterschiedlichster sozialer und nationaler Herkunft erreicht. In enger Kooperation von RAA (Landeshauptstadt Düsseldorf) und Hochschule wurden sowohl Einzelprojekte an den Schulen als auch mehrere Feriencamps initiiert und umgesetzt. Mit fachlicher Begleitung an der Hochschule und in Zusammenarbeit mit den Schulen haben die Studierenden eigenständig methodisch-didaktische Konzepte entwickelt, die die Schülerinnen und Schüler spielerisch und kreativ in ihren sozialen, kommunikativen - und damit auch sprachlichen – Kompetenzen unterstützen.