FORENA-Nachwuchspreise verliehen
Insgesamt vier junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wurden am 13. November von der Forschungsstelle Rechtsextremismus/Neonazismus für ihre Forschungsarbeiten über rechtsextremistische Phänomene ausgezeichnet.
Zum zweiten Mal nach 2012 hat der Forschungsschwerpunkt Rechtsextremismus/Neonazismus (FORENA) Mitte November Preise an junge Wissenschaftler*innen vergeben, die sich in herausgehobener Weise mit Entwicklungen der extremen Rechten, Phänomen des Nationalismus und Antisemitismus sowie Erscheinungen strukturellen oder alltäglichen Rassismus nach 1945 befasst haben. Aus den zwanzig eingesandten Arbeiten, die ein breites disziplinäres Spektrum von Politikwissenschaften und Soziologie über Kommunikationswissenschaft und Geschichtswissenschaft bis zu Erziehungswissenschaften und Psychologie abdecken, hat die Jury in einem kurvenreichen Diskussionsprozess in einem soliden Konsens die auszuzeichnenden Arbeiten ausgewählt.
Die Übergabe der Preise, die im Rahmen eines wissenschaftlichen Kolloquiums an der Fachhochschule Düsseldorf (FHD) stattfand, wurde von Prof. Dr. Brigitte Grass, Präsidentin der FH, mit einem Grußwort eröffnet. Sie stellte dabei nicht nur die große Nachfrage nach der Expertise von FORENA heraus, sondern nutzte auch die Gelegenheit, um die Arbeit von Adelheid Schmitz zu würdigen, die im Oktober 2014 auf eine 25-jährige Tätigkeit am Forschungsschwerpunkt zurückblicken konnte.
Als Leiter von FORENA hob Prof. Dr. Fabian Virchow in seiner Begrüßung hervor, dass rassistische Gewalt oder Wahlerfolge extrem rechter Parteien zwar Konjunkturen der Aufmerksamkeit hervorrufen würden, Forschungstätigkeit zu entsprechenden Ereignissen und Entwicklungen aber Kontinuität benötige. Die Beobachtung neuer Erscheinungsformen, die Weiterentwicklung theoretischer Erkenntnisse und methodischer Verfahren sei allerdings auf hohem Niveau ohne auf Dauer gestellte angemessene personelle und finanzielle Ausstattung von Forschung nicht zu leisten. Kontinuität werde auch hergestellt durch langfristiges Engagement in diesem Themenfeld. Der FORENA-Nachwuchspreis habe daher auch das Ziel, junge Wissenschaftler*innen zu ermutigen, sich auch nach ihren Qualifikationsarbeiten mit den zahlreichen unbearbeiteten Fragestellungen aus den eingangs genannten Themenfeldern zu befassen.
Für den kurzfristig verhinderten Guntram Schneider, Minister für Arbeit, Integration und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen (MAIS), hielt Dr. Bernhard Santel die erste Laudatio. Den vom MAIS ausgelobten Sonderpreis »Demokratie und Zusammenhalt in Vielfalt« erhielt Maik Fielitz für seine an der Philipps-Universität Marburg verfasste Master-Arbeit im Fach Friedens- und Konfliktforschung. Diese befasst sich mit den transnationalen Aktivitäten der neonazistischen ›Goldenen Morgenröte‹ und untersucht dabei insbesondere deren Aktivitäten in Deutschland. Bernhard Santel mahnte Staat und Gesellschaft zur Wachsamkeit gegenüber extrem rechten Strömungen und verwies anhand der von Maik Fielitz untersuchten Entwicklung auf die Notwendigkeit einer auch europaweit abgestimmten Strategie im Kampf gegen Rechtsextremismus.
Mit einer ›Anerkennung‹ wurde die Masterarbeit von Nadine Jenke (Universität Potsdam) ausgezeichnet, die den Titel „Staatliches Handeln gegen die extreme Rechte zwischen 1974 und 1980 in der Bundesrepublik Deutschland. Eine Analyse am Beispiel des Vereinsverbotes gegen die Wehrsportgruppe Hoffmann“ trägt. Die WSG Hoffmann war in den 1970er Jahren eine mehrere Hundert Mitglieder umfassende Gruppe, die paramilitärisch ausgebildet wurde. Sie wurde am 30. Januar 1980 verboten. Frau Jenke untersucht in ihrer Arbeit auf Grundlage umfangreicher Aktenbestände und Parlamentaria die Diskussions- und Entscheidungsprozesse im Bayerischen Staatsministerium des Innern und im Bundesinnenministerium, die trotz zunächst ablehnender bzw. abwartender Positionen schließlich zum Verbot der Vereinigung geführt haben. In der Arbeit werden zahlreiche Aspekte im Detail sichtbar, die auch für andere Verbotsverfahren von Bedeutung sind, etwa die Frage nach den Grenzen strafrechtlichen Vorgehens gegen solche Gruppen.
Gegen die eigentlich vorgesehene Staffelung der FORENA-Preise, die einen ersten Preis in Höhe von 1.000.- € und einen zweiten Preis in Höhe von 500.- € vorsieht, hat sich die Jury in diesem Jahr für die Vergabe von zwei ersten Preisen entschieden. Mit ihnen wird die Qualität der Qualifikationsarbeiten von Felix Korsch (Universität Leipzig) und Laura Schenderlein (Universität Potsdam) anerkannt.
Laura Schenderlein befasst sich in ihrer geschichtswissenschaftlichen Magistra-Arbeit mit der Rezeption der ›Artamanen‹ durch die extreme Rechte in der Bundesrepublik Deutschland. Die Artamanen entstanden um 1924 aus dem völkisch-nationalen Flügel der deutschen Jugendbewegung; sie waren eine Siedlungsbewegung, die sich der Aufgabe verschrieben hatte, die polnischen Wanderarbeiter zu verdrängen und das ‚Deutschtum‘ in den östlichen Grenzregionen zu stärken. Ihre Weltanschauung war zudem stark von einer Ablehnung der als dekadent angesehenen urbanen Räume geprägt, denen man das ‚reine‘ Leben auf dem Lande entgegensetzen wollte. Diese Bewegung umfasste – nach unterschiedlichen Quellen – zwischen 8.000 und 11.000 Mitglieder. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund von jüngeren Versuchen der Wiederbelebung des völkischen Siedlungsgedankens durch Aktivisten der extremen Rechten ist Laura Schenderlein auf der Grundlage der Auswertung umfangreichen Schriftguts den Beziehungen zwischen den Artamanen der Vorkriegsjahre und ähnlich gelagerten Projekten der Gegenwart nachgegangen. Die Arbeit von Frau Schenderlein stellt einen wichtigen und differenziert argumentierenden Beitrag zu einem wissenschaftlich bisher wenig beachteten Bereich der extremen Rechten dar.
Ebenfalls mit einem ersten Preis wurde die an der Universität Leipzig im Studiengang Journalistik verfasste Diplomarbeit von Felix Korsch bedacht. Sie trägt den Titel „Rechtsextreme Medien. Wissenschaftlicher Begriff, Konzepte der extremen Rechten und Umsetzung am Beispiel des Vogtlandkreises”. Die Arbeit geht angesichts des breiten Angebotes an extrem rechten Periodika der Frage nach, ob es sich bei Publikationen der extremen Rechten um ‚Journalismus‘ oder ‚Propaganda‘ handelt. Unter Rückgriff auf wissenschaftliche Propaganda-Theorien und auf Grundlage einer sorgfältigen Darstellung des Medienhandelns extrem rechter Akteure kann Felix Korsch am Beispiel einer der von der NPD herausgegebenen ‚Regionalzeitungen‘ zeigen, dass es sich dabei nicht um journalistischen Text, sondern um eine Form der Propaganda handelt.
Schließlich gab Johanna Sigl (M.A., Universität Göttingen) Einblicke in ihr Dissertationsprojekt, das sich aus biografieanalytischer Perspektive mit Ein- und Ausstiegsprozessen in die extreme Rechte befasst. Mit Blick auf Ausstiegskonstellationen stellte sie drei verschiedene Typen vor, die sich aus ihrer Forschung ergeben hätten: a) Distanzierung von der rechten Szene als Emanzipation von entsprechenden familialen Prägungen mit dem Ziel des Aufbaus einer gesellschaftlichen ‚Normal‘-Biografie; b) Distanzierung von den weltanschaulichen Grundlagen bei Beibehaltung identitätsversichernder Handlungsmuster sowie c) Distanzierung als Inszenierung unter Beibehaltung der Deutungs- und Handlungsmuster. In der Diskussion wurde die wichtige Beobachtung betont, dass die Befragten in der Darstellung ihres Einstiegs das Bild des ‚Hineinrutschens‘ betonten und die politische Dimension als wenig bedeutend bezeichneten, während sie den Ausstieg als aktives Tun und politisch begründet vortrugen.
Die nächste Ausschreibung für die FORENA-Nachwuchspreise und den vom MAIS ausgelobten Sonderpreis »Demokratie und Zusammenhalt in Vielfalt« wird Anfang 2015 erfolgen; die Verleihung der Preise ist für den Herbst 2016 vorgesehen.